Die Aldor Wiki
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Es pulsierte. Immer wieder rollte, mit jedem Herzschlag, eine stechende Druckwelle von ihrem Kopf hinab bis in die Zehenspitzen. Es fühlte sich an, als ob für den Bruchteil von Sekunden jede ihrer Körperregionen auf mindestens das Doppelte anschwoll. Sie spürte, dass ihr Körper dabei erzitterte, aber hatte es selbst nicht unter Kontrolle. Kein Eingreifen, kein Unterdrücken war möglich. Nicht einmal das Denken wollte richtig gelingen. Jeder Gedanke, den sie beginnen wollte, wurde sofort von den dichten Nebelschwaden, die dieses Druckgefühl in ihren Venen mit sich brachten, umhüllt, eingesponnen und erstickt. Auch Bewegungen waren unter diesen Umständen eine Sache der Unmöglichkeit.

Doch plötzlich hatte sie das Gefühl, fliegen zu können, zu schweben. Der Nebel, der ihr Bewusstsein verschleierte, verklumpte zu weichen, wuscheligen Wolken, die sie trugen. Musik erklang, von irgendwo her, und sie kannte jedes Lied. Sie gingen ihr über die Lippen, wie ein bekanntes Gebet.

»Hab keine Angst«, flüsterte der Wind, der sie auf ihren Wolken einfach fort trug. Seine Stimme war ganz rau. So vertraut. Immer schneller jagte der Wind mit ihr, die weichen Wolken schlossen sich noch etwas fester um ihren Körper, damit sie ja nicht abstürzte.

»Hab keine Angst«, flüsterte der Wind, »Ich bin bei dir.«

Sie hatte keine Angst.

Das dumpfe Drücken in ihren Blutbahnen war inzwischen verschwunden und hatte nur ein Gefühl von Schwere und Müdigkeit hinterlassen. Inzwischen hatte der Wind nachgelassen, und am Himmel war es Nacht geworden. Sterne hatte sie gesehen, die über sie hinweg glitten, aber nun war es vollkommen dunkel. Die Wolken waren ebenfalls fort und es fühlte sich an, als hätten sie sie auf Stein gebettet.

Es war so kalt.

Kleine Punkte schwirrten vor ihr umher, und als sie näher kamen, erkannte sie, dass es Fliegen waren. Sie alle hatten den selben, orange-schwarz-farbenen Körper, leuchteten sacht und hatten alle den selben Kopf. Blondes Haar und unnatürlich helle, gar farblose Augen hatten sie allesamt, und wenn sie ihr näher kamen, grinsten und lachten sie spöttisch, und offenbarten dabei gleich zwei Reihen spitzer Reißzähne. Immer machten sie Anstalten, sie zu beißen, aber Scarlet wusste, dass sie das nicht tun würden. Dennoch war es anstrengend. Sie wollte, dass sie verschwanden. Außerdem traute sie dem Gesicht der Fliegen nicht. Auch das war vertraut, doch es löste Übelkeit in ihr aus.

Es war so kalt...

Und sie vermisste ihn so sehr. Wo war er?

»Eo...?« Sie konnte ihre eigene Stimme in der Dunkelheit als Echo vernehmen.

Es war so dunkel...

»Mir is' kalt...« Ihre Zunge fühlte sich ganz schwer an und das Formen der Worte wollte nicht so funktionieren, wie sie es gern hätte.

Das Zittern ihres Körpers wurde etwas stärker. Die Kälte kroch ihr unter die Haut, brannte sich durch ihr Fleisch und legte sich wie eine Schicht aus Eis um jedes ihrer Gelenke, jeden Knochen. Die Fliegen lachten lauter, riefen ihr Provokationen zu.

Du könn'st so viel hab'n, Süße.

Du weiß' genau, dass'ch dir das geb'n kann, was du brauch's...

Warum wehrs' du dich immer noch? 's mach's doch nur schlimmer. Erkenns' das nich'?

Süße... Du friers' ja...

Sie spürte eine recht kühle, aber zarte Berührung auf ihrer Wange. Unwillkürlich erschrak sie leicht, doch dies war der Moment, in dem die Wolken sich wieder unter ihren Körper schoben. Sie bildeten eine Gestalt über ihr, dunkel, aber nicht bedrohlich. Der Kopf eines Worgens, Fell. Der warme Atem des Windes legte sich wie eine Decke über ihren Körper. Leises Grollen, wie von Gewitter und doch so tierisch.

»Kaj?«, hauchte sie in die Wolke hinein und fuhr mit der Hand über ihre weiche Oberfläche. Erneut ein leises Grollen, aber sie wurde noch etwas weiter gedrückt.

»Schlaf...«

Eolarios. Er war so wunderbar warm. Die Wolke verwandelte sich in seinen tierischen Körper, in seine gewandelte Gestalt. Seine kräftigen Arme hielten sie vorsichtig, als wäre sie aus dünnstem Glas, in den Armen und er drückte sie an seine fellbesetzte Brust.

Er war doch noch da.

Sie konnte jeden seiner Herzschläge deutlich hören.

Und mit jedem Herzschlag fühlte sie, wie sich der ihre auf seinen einstellte, bis sie absolut synchron waren.

Es wurde still – und auch schien es dunkler um sie herum zu werden.

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