Die Aldor Wiki
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Charlotte Geschichten
I II III IV V

Der Trubel im Hause Griffiths war gross, als die Dienstmagd in dieser stürmischen Nacht ein in schäbige Leinen gewickeltes, schreiendes Bündel auf der Türschwelle fand.


Es war der fünfte Tag im siebten Mond, und genau eine Lunation war vergangen seit die Lady des Hauses eine Totgeburt zu betrauern hatte. Das Findelkind, ein winziges Mädchen mit dunklem, krausem Haar, erschien der jungen Mutter wie ein Geschenk des Himmels und wurde mit Dankbarkeit und Ehrfurcht aufgenommen.
Dies alles geschah zum grossen Missmut des Albert Griffiths, der das Kind mit Argwohn betrachtete und Unglück samt Skandal vorsah. Letzteres war verständlich, bestand doch zwischen Mutter und Tochter keinerlei Ähnlichkeit - ja selbst unter der Dienerschaft stand kein junger Kerl, dem man eine Liebelei mit der Dame hätte nachreden können.


Lady Elize war mit einer Haut gesegnet die so bleich war, dass sie im Licht regelrecht zu leuchten schien. Feine Äderchen schimmerten an besonders dünnen Stellen hindurch und ihre Glieder waren zart und zerbrechlich. Nicht wenige fanden Ruhe unter dem sanften Blick, der stets in den tiefgrünen Augen lag. Geduld und Gehorchsamkeit gehörten zu den Tugenden der jungen Frau, welche unter der strengen Hand ihres Gatten vielmehr wie ein Mädchen wirkte.

So kam es dass das Kind, welches den Namen der Grossmutter trug, abgeschieden von der Stadt in dem kleinen Häuschen am See aufwuchs, dessen Wege im Frühjahr mit den Blüten der umgebenden Apfelbäumen bedeckt war.
Mit Verdruss sahen die Eltern wie sämtliche Versuche, der jungen Charlotte das höfische Benehmen beizubringen, kläglich scheiterten. Tatsächlich begnügte sich das Mädchen lieber mit dem stundenlangen Wandern durch die naheliegenden Wäldern, dem Schlendern am Strand (wobei sie stets die wunderbarsten Muscheln mitbrachte), oder es hing schlicht seinen Tagträumen nach, anstatt den Lektüren des Vaters zu lauschen.

In zunehmenden Alter wuchs Charlotte Lynn Griffiths zu einer aufgestellten Dame heran, welche zum Entsetzen mancher den Vater in seiner Grösse übertraf. Unter den Bewohnern des Hauses stach sie allein durch ihre Haut hervor, welche die Farbe flüssiger Schokolade inne hielt. Das Haar, welches im Gegensatz zur blonden Mutter von einem beinah schwarzen braun war, war knabenhaft kurz (wenn auch zu eleganten Wellen frisiert) und passte zu den praktischen Kleidern. Das Aussergewöhnlichste waren wohl jedoch die Augen des Mädchens, welche unter schweren Lidern in eisigem Blau funkelten.
Die mokierenden Rufe der Jüngeren schienen sie nicht zu kümmern. Nicht selten ersetzte sie ihren Namen in Charlotte Hazel, und übernahm diesen nach dem Tod der Mutter schliesslich ganz.


Ihre Liebe zur Natur war es, welche in ihr den innigen Wunsch nach Reisen auslöste. Oft streunte die junge Frau den hohen Wall entlang, in der Hoffnung eine Lücke zu finden durch die sie hätte schlüpfen können. Ja, Charlotte Hazel lechzte nach der Welt, die ihr durch Backstein und Holz versperrt blieb. So zog sie sich immer öfters in ihr Haus am See zurück, und verbrachte ihre Zeit mit träumen und dem Schnitzen von Schmuckstücken.

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