Die Aldor Wiki
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Das Frühstück an diesem Morgen schmeckte fad. Mit soviel Liebe hatte seine Ziehtochter es ihm zubereitet und hingestellt, doch Eolarios konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sein ganzer Körper schmerzte von der Nacht auf der Straße. Lustlos stocherte er in der Schüssel herum, starrte mit leerem Blick auf den Tisch. Was war bloß geschehen? Er konnte es kaum noch zuordnen.

Sie hatte ihn gebraucht. Tränen waren geflossen. Seine eigenen? Bilder stiegen vor seinen Augen auf, die ihn den Löffel in die Schüssel fallen ließen. Bilder, die er am Liebsten längst vergessen hätte. Doch sie wollten ihn einfach nicht loslassen. Sie verfolgten ihn, seit dem Tag, an dem er wieder Kontrolle über sich bekommen hatte. Damals war es am Schlimmsten gewesen. Keine Nacht hatte er durchschlafen können. Wenigstens war es mittlerweile besser geworden, mit einigen Ausnahmen. So wie letzte Nacht. Was war noch Wirklichkeit, was Traum? Wo verschmolzen diese Welten? War der Unterschied wirklich so groß?

Er hatte sie in den Armen gehalten. Endlich wieder. So sehr hatte sie ihm gefehlt. Ihre Berührungen, ihr Geruch, ihre Nähe. Hatte sie ihm verziehen? Natürlich nicht, wie konnte sie. Es war zuviel. Er hatte alles zerstört. Und doch war sie dort, sie war bei ihm geblieben, hatte ihn nicht gehenlassen.

Er ließ den Kopf sinken, stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und vergrub das Gesicht in den Händen. Lerylas Hände konnte er noch wie durch einen Schleier auf seinen Schultern spüren. Sein Kopf begann wieder zu schmerzen, wie er es schon so oft getan hatte. Die Abstände wurden etwas größer, aber blieben doch regelmäßig. Es wäre bald wieder soweit. Alles begann wieder von vorn. Er ließ die Hände am Kopf entlangwandern und presste die Handballen gegen die pochenden Schläfen.

Wieder die Fragen, die in seinem Kopf herumschwirrten und auf die er nie eine Antwort gefunden hatte. Warum war er in Sturmwind geblieben? Warum hatten sie ihn nicht einfach hingerichtet, für das was er alles getan hatte? Soviel Leid, soviel Schmerz hatte er verursacht. Bei Unschuldigen, als auch sich selbst. Würden sie ihn alle mit seinen Augen sehen, wären sie vielleicht weniger gnädig.

Mühsam schüttelte er den Kopf, wechselte von den Handballen auf Zeige- und Mittelfinger, ließ sie in kreisenden Bewegungen die Schmerzen in den Schläfen lindern. Auch das würde nicht lange anhalten. Er konnte von Glück reden, wenn er den Tag noch heil überstand.

Scarlet. Ihr Name stieg ihm plötzlich ins Gedächtnis, das Bild, als er aufgewacht war, auf der steinernen Straße. Sie hatte vor ihm, neben ihm gelegen und den Blick gleich wieder abgewendet. Was war Traum, was Wirklichkeit? Was war geschehen? Hatte er Dinge getan, von denen er glaubte, sie nur geträumt zu haben? Soviele Bilder, soviele Erinnerungen überschlugen und begruben sich in seinem Kopf gegenseitig. Scarlet? Alicia?

Alicia. Lissa. Ihr Name allein weckte schon sovieles in ihm. Erinnerungen an glücklichere Tage, aber auch Erinnerungen an die Momente, die er lieber nie erlebt hätte. Und dann war dort Mia.

Mia. Lebte sie vielleicht doch noch? Wo war sie? Warum war er noch nicht wieder aufgebrochen, sie zu suchen, zu finden? So viel war beim letzten Mal geschehen, aber es durfte ihn doch nicht abhalten. Nach Nächten wie diesen spürte er die Narben auf seinem Rücken besonders deutlich. Stumme Zeugen an die Suche nach Mia. Eine Suche, die wieder in Sturmwind geendet hatte, völlig ergebnislos und mit einigen Verletzungen mehr.

Wütend ballte er die Hände zu Fäusten und ließ sie auf dem Tisch landen. Der Löffel klirrte in der Schüssel, Lerylas Hände zogen sich von seinen Schultern zurück.

Mia. Er mußte sie suchen. Das war er ihr schuldig. Wenn sie noch lebte, mußte er sie finden. Immerhin war er schuld an ihrer Misere, immerhin war sie seine Tochter. Ihm graute bei dem Gedanken, was mit ihr geschehen sein könnte. Aber wie sollte er sie finden? Er hatte keine Anhaltspunkte, außer dass sie im Silberwald verschwand. Hatten die Untoten sie abgeschlachtet, wie soviele seines Volkes?

Sein Körper spannte sich an, ein leises Knurren entfuhr ihm. Wortlos räumte Leryla die Schüssel weg, dessen Inhalt er kaum angerührt hatte. Er konnte nicht. Er wollte nicht. Es gab soviel wichtigeres als ein Frühstück. Vielleicht würde sie es irgendwann verstehen.

Mia. Alicia. Scarlet.

Seine Gedanken rasten, die Schläfen pochten. Frische Luft. Raus aus der Stadt. Ans Meer.

Noch immer angespannt erhob er sich, packte sein Schwert und verließ ohne ein weiteres Wort das Haus. Die Stadt widerte ihn an. Und es waren seine Töchter, die darunter leiden mußten.

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